Die Gesellschaft für Sexarbeits- und Prostitutionsforschung

Von Giovanna Gilges und Mareen Heying, erstmals erschienen in:
Arbeit Bewegung Geschichte. Zeitschrift für historische Studien, 2021/II, S. 101-104

Forschende zu Sexarbeit und Prostitution1  sind oftmals mit besonderen Herausforderungen konfrontiert, die sich aufgrund des Forschungsgegenstands und der gesellschaftlichen Reaktionen darauf ergeben. Voyeuristisches Interesse ist oft größer als ein wissenschaftlicher Erkenntnisgewinn. Hier ist ein solidarischer Austausch besonders wertvoll.

Aus diesem Grund richten wir seit 2015 den jährlich stattfindenden interdisziplinären Workshop „Kritische Sexarbeitsforschung“ im deutschsprachigen Raum aus. Damit haben wir einen Ort für (Nachwuchs-)Wissenschaftler:innen die zu Prostitution oder Sexarbeit forschen geschaffen, in dem wir uns intensiv wissenschaftliche austauschen können. Der Workshop wurde ausgerichtet in Berlin (2015), Zürich (2016), Salzburg (2017), Bochum (2018), Graz (2019) und Leipzig/digital (2020).

Der interdisziplinäre Workshop füllt die Bedarfslücke des Wissenstransfers und bekam von Beginn an viel Resonanz. Um diese Form zu institutionalisieren, haben Kolleg:innen aus Deutschland, Österreich und der Schweiz beim 5. Interdisziplinären Workshop „Kritische Sexarbeitsforschung“ in Graz die Gesellschaft Sexarbeits- und Prostitutionsforschung e.V. (GSPF) gegründet; eine transdisziplinäre, forschungszentrierte Gesellschaft. Daneben versteht sich die GSPF als Ansprechpartnerin – für Studierende, Promovierende, Sexarbeitende und an der Forschung Interessierte.

Die GSPF bringt sowohl Nicht-Sexarbeitende als auch Sexarbeitende zusammen und fördert einen reziproken Wissenstransfer auf Augenhöhe.    

 

Ziele der GSPF

In der GSPF kommen unterschiedliche Fachdisziplinen mit ihren jeweiligen methodischen und (forschungs-)ethischen Zugängen zusammenkommen. Unser Ziel ist es zum einen, heterogene Sexarbeits-/Prostitutionsforschung entsprechend ihrer disziplinären Standards einander näher zu bringen und zu stärken. Zum anderen soll die Sexarbeits- und Prostitutionsforschung als solche in Form von Workshops oder Vorträgen in der Öffentlichkeit deutlich sichtbarer und unsere Erkenntnisse über ein Fachpublikum hinaus kommuniziert werden.

Durch die GSPF erweitern wir Forschungsnetzwerke auch im internationalen Kontext, etwa mit der italienischen Schwesterorganisationen GRIPS, „Gruppo di ricerca italiano su prostituzione e lavoro sessuale“ (dt.: „Italienische Forschungsgruppe für Prostitution und Sexarbeit“).

 

Das Erbe der Prostitutionsforschung als Verantwortung tragen

Sexarbeit ist bis heute ein polarisiertes Feld, in dem diverse gesellschaftliche Aushandlungsprozesse stattfinden und das in beispielhafter Weise von emotionalisierenden und moralisierenden Aspekten durchzogen ist.

Als Wissenschaftler:innen tragen wir in der Prostitutionsforschung ein schweres Erbe, dem wir mit einer vielschichtigen Verantwortung begegnen müssen. Etablierte Forschung zu Prostitution und gar an Prostituierten hatte bis tief ins 20. Jahrhundert hinein das Anliegen, die gesellschaftliche Ordnung der Geschlechter zu wahren. Sexuell übertragbare Infektionen wurden mit Prostitution konnotiert und mithilfe strafrechtlicher und ordnungsrechtlicher Ahndung zu bekämpfen versucht. Das Verhältnis männlicher Forschender zu Sittlichkeit um zum Wert eines Menschen sowie zeitgenössische sexuelle und geschlechtliche Ordnungsstrukturen spiegeln sich eindrücklich im jeweiligen Forschungsinteresse und den Diskursen über Prostitution wider. Mithilfe von Prostitutionsforschung und Forschung an Prostituierten wurden Reglementierungen und Repression, aber auch Gewalt gegen Prostituierte legitimiert. Noch heute hat die Forschung über Sexarbeit/Prostitution oftmals reproduzierende Effekte auf die Figur der Sexarbeitenden. Populärwissenschaftliche Diskurse über Sexarbeitende, etwa als (migrantische) Opfer oder als Gefährder:innen einer heteronormativen Ordnung der Gesellschaft, erzeugen Narrative, die Prostitutionspolitiken und exekutive Kontrollgewalten beeinflussen.

 

Sexarbeit als Arbeit erforschen

Bewertungen von Arbeit stehen unter einem permanenten Wandel, so auch Sexarbeit. Während für Prostituierte schon immer klar war, dass sie nicht die Personifizierung ihres Arbeitsbereiches sind, ist dies auch in einigen Forschungsfeldern zu Prostitution angekommen. In wissenschaftlichen Untersuchungen wird mittlerweile von Prostitution und Sexarbeit gesprochen, die Labour History untersucht Prostitution/Sexarbeit als Dienstleistung. Seit den 1970er Jahren wurde vor allem durch feministische Marxistinnen der Facettenreichtum von Reproduktionsarbeit sichtbar gemacht. Prostitution ist ein Teil dieses Arbeitsbereiches. Es handelt sich um eine geschlechtlich konnotierte reproduktive Tätigkeit, die in der GSPF aus verschiedenen Perspektiven untersucht wird.

 

Kritische Sexarbeitsforschung

Unter kritischer Sexarbeits- und Prostitutionsforschung verstehen wir die notwendige Offenheit der Forschung im Hinblick auf das Phänomen Sexarbeit sowie im Hinblick auf die notwendige disziplinäre Offenheit zueinander. „Kritisch“ muss Sexarbeits- und Prostitutionsforschung auch deshalb sein, weil sie nicht nur die weit verbreiteten Wahrnehmungsmuster von Sexarbeit hinterfragt, sondern weil sie auch von einer steten Selbstreflexion der Forschenden untereinander und vom Dialog mit Sexarbeitenden geprägt ist.

Forschende der GSPF kommen aus unterschiedlichen wissenschaftlichen Disziplinen, wie Geschichtswissenschaften, Erziehungs- und Sozialwissenschaften, Rechtswissenschaft, Politikwissenschaft, Wirtschaftswissenschaften, Anthropologie, Public Health, Architektur/Denkmalpflege, Gender Studies und Ethik/Theologie. Diese disziplinäre Vielfalt stattet uns als Forschungsgesellschaft mit einer breiten Expertise aus. Die GSPF positioniert sich klar gegen eine moralisch konnotierte Forschung und bekennt sich gegen Sexismus, Rassismus, Ableismus, Klassismus, LGBTI- und Queerfeindlichkeit, Body-Shaming und andere Abwertungs-, Benachteiligungs- und Ausschlussmechanismen.

Forschung findet nicht im luftleeren Raum statt, sie hat nicht selten einen politischen Einfluss und auch die Forschenden positionieren sich durch ihre Arbeit. Daher ist es aus unserer Perspektive elementar, dass wir eine Antwort auf die Frage haben, inwiefern wir als Forschende dem Feld, das wir beforschen, einen Mehrwert bieten können. Sexarbeitende selbst blieben und bleiben oftmals sowohl im Hinblick auf die Forschungsfragen als auch im Hinblick auf die Teilhabe an der Forschung in einer untergeordneten Rolle: sie werden objektiviert. Wir reflektieren, was wir von unseren Quellen und Forschungssubjekten verlangen und was wir im Gegenzug bieten können. Im Forschungsfeld der Prostitution und Sexarbeit, das durch Voyeurismus geprägt ist, muss eine kritische Forschung sich diesen Fragen konsequent stellen.

 

Mitwirken in der Gesellschaft für Sexarbeits- und Prostitutionsforschung

Forschende sind herzlich eingeladen, Mitglied der GSPF zu werden. Unseren Mitgliedsantrag findet sich hier. Darüber hinaus können alle Interessierten hier den Newsletter der GSPF abonnieren.

Ausführlich werden Ziele und Zweck der GSPF in der Vereinssatzung beschrieben, während im Leitbild der GSPF die Grundsätze der Arbeit festgehalten sind.

Fußnoten

1 Für eine historische Betrachtung funktioniert der erst in den 1970er-Jahren implementierte Analysebegriff „Sexarbeit“ nicht. Darüber hinaus umfasst der Begriff Sexarbeit nicht nur Prostitution, sondern auch andere sexuelle Dienstleistungen, wie Caming oder Tabledance.